Ich hatte eine kleine Vorahnung, was mich in der Nachtschicht erwartet, da mein Teamcaptain, Gesine Grotrian, sich eine Woche vorher mit mir zu einem Briefing-Gespräch getroffen und bei der Gelegenheit schon ein paar Grundideen geäußert hat. Sie hatte sogar bereits vorab ein unerwartetes Bonbon für den Begegnungschor: Keuledruck hatte sich bereiterklärt, eine 500 oder gegebenenfalls sogar 1000 Exemplare starke Auflage des Faltplakates zu drucken, das als ein Ergebnis der Nachtschicht gedacht war. Ihre Idee war, das Corporate Design mit Do-it-yourself-Elementen zu entwickeln, sodass es für uns auch ohne großes Budget ansprechend umsetzbar wäre.
Eine mögliche Lösung des Kernproblems weshalb wir uns bei der Nachtschicht beworben hatten: Der Begegnungschor - ein Chor, in dem Berliner gemeinsam mit Geflüchteten singen - existiert erst seit Oktober 2015 und hat bisher überhaupt kein Budget. Es gibt bisher nicht einmal genug Geld um den Chorleitern ein Honorar zu zahlen.
Zwei Probleme sollten also mit Hilfe der Kompetenzspende in der Nachtschicht gelöst werden: Wir brauchten ein professionelles Corporate Design für die Homepage und die Geschäftspost und Material, mit dem wir uns bei möglichen Geldgebern vorstellen können, um das Projekt auch finanziell auf sichere Beine zu stellen. Abgesehen von der finanziellen Situation läuft der Chor nämlich sehr gut: Wir haben inzwischen so um die 50 bis 80 Sängerinnen und Sänger in unseren wöchentlichen Proben und es macht allen Beteiligten viel Spaß.
Die Arbeitszeit in der Nachtschicht begann dann um 18:00 Uhr mit einer Vorstellungsrunde der Teammitglieder und einem kurzen Beitrag von mir über den Begegnungschor und die Aufgaben für die Nachtschicht. Danach folgte ein Brainstorming des ganzen Kreativteams: Was fällt euch denn zu dem Thema Begegnungschor ein? Ein Prozess, den ich möglichst unkommentiert lassen sollte. Danach wurde das Team strategisch in Arbeitsgruppen aufgeteilt: Gesine Grotrian, Lydia Salzer, Julia Kuon und Stephan Siebert - die vier Gestalter im Team - begannen sich Gedanken über die grafische Umsetzung zu machen, während Jeanine Lefering und Nils Adelheidt mit mir in eine kleine Geschichtenkonferenz gingen: Das geplante Faltplakat sollte nämlich ein Multifunktionstool sein, das einerseits als Plakat aufgehangen werden kann und so großflächig auf uns hinweist, wenn wir beispielsweise einen Stand betreuen und anderseits aber gefaltet auch in einem Brief passen und dann wie ein Mini-Magazin Geschichten über Begegnungen aus dem Chor erzählen. Um eben diese Geschichten zu erzählen benötigten die Textexperten im Team Material, das sie in Form von Flüchtlingsportraits und Zeitungsartikeln über den Begegnungschor bekommen haben, die von meinen Erzählungen ergänzt wurden.
Das siebte Teammitglied, Jannis Witte, angehender Wirtschaftspsychologe, konnte sich weder dem einen noch dem anderen Team eindeutig zuordnen, hatte aber sofort eine Idee, wie er sich sinnvoll mit einem weiteren Bonbon für uns einbringen kann: Er hatte in einem Praktikum Erfahrungen im Fundraising gesammelt und machte sich nach einem weiteren kurzen Gespräch mit mir, in dem wir gemeinsam ein paar strategische Grundideen entwickelt haben, daran, passende Ansprechpartner und passende Wettbewerbe für uns zu recherchieren.
Ich war - anders als vorher besprochen - fast die ganze Zeit über im Raum. Es war gar nicht leicht zwischendurch keinen Blick auf die Rechner der Gestalter zu werfen, als sie noch in der Ideensammlung waren. Zwischendurch wurde ich einmal mit dem USB-Stick rausgeschickt, um Ergebnisse auszudrucken - ebenfalls mit der strengen Auflage, diese nicht anzuschauen. Herr Neitzel vom Tagesspiegel war mir dabei behilflich und gab mir den Papierstapel auch so in die Hand, dass ich nichts sehen konnte. Zurück im Teamzimmer, wurden die Ergebnisse begutachtet und das Gestalterteam hat sich intern abgesprochen, in welche Richtung es weiter gehen soll. Relativ kurze Zeit später durfte ich dann auch zum ersten Mal wirklich einen Blick drauf werfen.
Es war ganz anders, als ich dachte, was aber nicht negativ gemeint ist. Nachdem Gesine Grotrian Pinsel und Stempelmatten zum basteln für die Nachtschicht bestellt hatte, hatte ich mit etwas qietschbuntem gerechnet, der Entwurf hatte jedoch genau zwei Farben: Weiß und einen ins Türkis gehenden Blauton und ein visuelles Element aus Kreisen, die an Schallwellen und Notenlinien erinnern und einen individuellen, handschriftlich angefertigten Schriftzug - nach dem, was ich aus den Gesprächen aufgeschnappt hatte, wirkte es so, als sei es eine Art Synthese aus den Ideen der vier Gestalter, die in sich absolut rund geworden ist. Später wurde die Farbwelt noch um einen erdigen Rotton erweitert.
Inzwischen waren auch die ersten Texte fertig und konnten gegengelesen und in den Plakatentwurf eingesetzt werden. So kamen zum ersten Mal auch Ergebnisse der zwei Gruppen zusammen, die bisher - nach einer kurzen Abstimmung des gemeinsamen Ziels zu Beginn der Nachtschicht - vollkommen getrennt voneinander gearbeitet hatten. Die Einzige, die stets das Gesamtergebnis im Blick hatte, war Teamcaptain Gesine Grotrian.
Auf diese Art war es zwar insgesamt relativ still im Raum, weil die meiste Zeit konzentriert an Teilergebnissen gearbeitet wurde, aber wir haben auch viel geschafft: Am Schluss standen neben dem Corporate Design (Logo, Schriftart, Farbwelt, Briefbogen) auch sechs Geschichten und sechs Überschriften für das Faltplakatmagazin, ein Entwurf für ein Begegnungschor-T-Shirt, ein paar neue Texte für die Homepage und eben die Recherche von Jannis Witte, zusammengetragen in zwei übersichtlichen Dateien.
Dabei sind viele Kleinigkeiten erst im Endspurt nach der Mitternachtssuppe entstanden, als die Richtung schon klar war und "nur" noch gefeilt werden musste. Gesine Grotrian und Julia Kuon kümmern sich jetzt im Nachgang noch um den letzten Feinschliff der Grafikdateien und Nils Adelheidt schickt mir noch ein paar Textbausteine, die in der Nachtschicht noch nicht fertig geworden sind.
Im Laufe der Abschlusspräsentation dachte ich immer wieder: Ich glaube, ich hatte genau das richtige Team für den Begegnungschor. Die Arbeit war konzentriert und unaufgeregt, sehr gut und strukturiert angeleitet und in der Präsentation auf den Punkt gebracht. Das Ergebnis schreit nicht, sondern erzählt, ist modern aber – meines Erachtens – nicht modisch und wird uns bestimmt lange begleiten.
Als Dankeschön habe ich das ganze Kreativteam eingeladen mal an einem Mittwochabend Begegnungschorluft zu schnuppern und weil die Do-it-yourself-Elemente dann im Rahmen der Nachtschicht doch zu kurz kamen, habe ich meinen Tuschkasten aus der Versenkung hervorgeholt und mit dem Erinnerungstupfpinsel noch ein kleines Dankeschön-Bild gestaltet, gescannt und dem Team geschickt.
Team Begegnungschor:
Gestaltung
Gesine Grotrian
Julia S. Kuon
Lydia Salzer
Stephan Siebert
Texte
Nils Adelheidt
Jeanine Lefering
Ideen zum Fundraising
Jannis Witte
Mehr zur Nachtschicht:
Website der Nachtschicht
Nachtschicht bei Facebook
UPJ über die Nachtschicht 2016
Enorm Magazin über die Nachtschicht 2016